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Leben in der Stadt
Mama, du auch hier?
Was bleibt uns, wenn die eigenen Kinder das
Nachtleben für sich entdecken? goliving.de-
Reporterin Maria Maas begab sich auf die Suche
nach einer garantiert Teenager-freien Zone
N
eulich fühlte ich mich ganz sicher. Eine Freundin
– wie ich in den 50ern – hatte angeregt, mal wie-
der tanzen zu gehen und schlug die Muffathalle
vor. Dort spiele die Multikulti-Band „Shantel“ tanzbare
Musik genau für unsere Altersklasse. Ein bisschen Welt-
musik gemischt mit Balkan-Beat? Das klang vielverspre-
chend. Das war unsere Liga!
Alles ließ sich super an. Das Publikum in der Halle war
altersmäßig gut gemischt, wir fielen überhaupt nicht auf:
„Disco, Disco Partisani“, schrien wir aus voller Kehle und
im Einklang mit der tobenden Menge. Ein toller Abend!
Doch dann am nächsten Tag der Schock, als mein 16jäh-
riger Sohn realisierte, wo ich gewesen war. „Mama, dann
musst du doch Carlotta gesehen haben, die wurde von
der Band zum Mittanzen auf die Bühne geholt.“ Natür-
lich hatte ich Carlotta nicht gesehen. Ich hatte an diesem
Abend schließlich keine Brille aufgesetzt! Mein Gott, wo
war ich gewesen? Auf einer Tanzparty gemeinsammit der
besten Freundin meines Sohnes!
Seitdem lässt mich der Gedanke nicht mehr los: Wohin
kann ich noch gehen, ohnemeinen eigenenKindern vor die
Füße zu laufen? „Das musst du lockerer sehen“, findet ein
guter Freund, auch er Vater eines Teenagers. Neulich sei er
mit seinemSohn und dessen Freunden zusammen zu einer
Band ins Atomic Café gegangen, weil die dort sonst nicht
reingekommen wären. Aber der Mann hat gut reden:
Schließlich ist er grad mal zwanzig Jahre älter als sein Kind
und sieht auch noch jünger aus, als er eigentlich ist.
Unsereins hingegen müsste befürchten, die Kontrolle am
Einlass wegen Überschreitung der Altersgrenze nicht pas-
sieren zu dürfen. Wie peinlich wäre das denn bloß?
Nein, was mir fehlt, ist eine jugendfreie Tanzzone. So et-
was wie die Jalla-Partys im Völkerkundemuseum – nur
mit Live-Bands statt DJ. Kein Seniorentanz, sondern ir-
gendwas mit lauter coolen Leuten, die musikalisch irgend-
wo in den 70ern oder 80ern steckengeblieben sind.
Eine erste Spur führt mich nach Alt-Schwabing, ins Podi-
um. Hier ist – Gott sei’s gedankt – noch alles beim Alten.
Gute solide Rockbands treten hier auf. Einige early birds
haben einen Sitzplatz am Rand ergattert; der Rest des
Publikums drängt sich durchaus angenehm zwischen Tre-
sen, Bühne und dem Weg zum Klo. „Das knubbelt sich so
schön“, sagen Kölner, wenn an Karneval die Stimmung in
den Kneipen demHöhepunkt entgegengeht undman sich
– komplett eingeklemmt – nur noch im Einklang mit der
Menge bewegen kann. Ein bisschen ist das hier auch so,
zumindest wenn die „Trouble Boys“ spielen – die unge-
krönten Könige des Podiums. Schon fast 30 Jahre gibt es
diese Band, und fast ebenso lange scheint das Stammpub-
likum im Podium ihr die Treue zu halten. Aber wenn die
Boys ihre Klassiker fetzen, gibt es auch bei Newcomern
kein Halten mehr. Super Stimmung – und das Beste: Wir
fühlen uns richtig jung!
Doch genug der Nostalgie. Wir wollen jetzt Sekt statt Bier
und wagen den Szenesprung. Was viele nämlich nicht wis-
sen: ImNightclub im Bayerischen Hof geht es gar nicht so
fein zu, wie manch einer glaubt. Vor allem kann man hier
richtig gute Live-Musik hören, viel Jazz, aber auch groo-
vigen Funksoul. Und da der Altersdurchschnitt der Gäste
meistens der tatsächlichen demografischen Entwicklung
unseres Landes entspricht, kann ich hier wunderbar ent-
spannt tanzen.
Aber vielleicht sollte ich mir wirklich nicht so viel denken.
Die Gitarrenlehrerin meiner Kinder tut das schließlich
auch nicht. Sie ist Mitte dreißig und immer noch eine be-
geisterte Konzert- und Clubgängerin. Nur das Wochenen-
de ist für sie tabu: „Da sind die Schüler unterwegs.“
Andererseits: Neulich war ich mit meinem Sohn und sei-
nem Freund im Backerl. Das ist eine kleine Weinstube am
Elisabethmarkt. Jeden Dienstag spielen dort kostenlos
Jazz-Studenten der Musikhochschule und bringen oft
noch ihre Freunde mit. Und tatsächlich saß ich dort zwi-
schen lauter jungen Leuten, mit den zwei Jungs an einem
Tisch – und alles stimmte. Ich fühlte mich einfach wohl.
Gemeinsam gute Musik genießen – wer sagt denn, dass
man das nur unter Gleichaltrigen kann?